Burnout, depressive Verstimmung oder notwendige Trauer?
Vermutlich hat es jeder schon erlebt: Es gibt Zeiten im Leben, in denen alles unendlich anstrengend ist. Nichts geht von selbst. Die Vielzahl an Terminen, Aufgaben und Verpflichtungen erscheint uns regelrecht zu erdrücken. Wir haben den Eindruck, keine freie Minute mehr für uns selbst zu haben. So wie ein Hamster, der wie ferngesteuert seine Runden in seinem Rad dreht. Meist kommen dann noch diverse Missgeschicke dazu: Das Auto geht kaputt, das Kind kommt mit einer schlechten Note in der Schule nach Hause… Völlig klar, dass sich das auf die Stimmung schlägt. Nichts läuft, wie es soll. Erschöpft liegen wir abends auf dem Sofa und fürchten uns davor, was morgen wieder alles passieren wird.
Auch wenn es niemand gerne hört: Wir können uns in eine depressive Stimmung regelrecht hineinsteigern, indem wir uns dauernd darauf konzentrieren, was nicht funktioniert. Uns ständig vorsagen, was wir alles nicht können und wo wir bereits versagt haben. “Ich habe immer das Gefühl, es liegt an mir, dass die Dinge nicht laufen. Dass ich an allem schuld bin.” – ein häufig geäußerter Satz in meiner Praxis.
Fragen Sie sich selbst:
Sind Sie körperlich erschöpft und wollen einfach nur noch Ihre Ruhe?
Fragen an Sie selbst:
- Verlieren Sie sich oft in Gedanken, dass Ihr Leben nicht so ist, wie es sein sollte?
- Glauben Sie, dass andere viel mehr Fähigkeiten haben als Sie?
- Beneiden Sie andere Menschen, dass diesen das Leben viel leichter zu fallen scheint?
- Grübeln Sie darüber nach, dass Ihr Leben ganz anders verlaufen wäre, wenn Sie als Kind mehr Möglichkeiten gehabt hätten?
Wahrscheinlich hat jeder von uns ab und zu Gedanken, die uns herunterziehen. Gedanken, die uns unfähig fühlen lassen, die Herausforderungen unseres Alltags zu meistern. Wenn Sie diese Seite angeklickt haben, haben Sie davon momentan wahrscheinlich sehr viele. Es liegt nahe, nach einer Möglichkeit zu suchen, diese Gedanken einfach abzuschalten. So einfach ist es aber nicht. Es lohnt sich, sich gerade mit diesen unangenehmen Gedanken zu beschäftigen. Gedanken kommen nämlich nicht einfach so… Sie geben uns wichtige Hinweise, wo wir in unserem Leben etwas verändern müssen!
Warum es nicht egal ist, was Sie denken
“Nicht unsere Stimmung prägt unsere Gedanken: Unsere Gedanken entscheiden über unsere Stimmung.” Aaron T. Beck
Mit den Gedanken, die wir immer wieder denken,
- bestimmen wir, wie wir uns fühlen. Unsere momentane Stimmung entsteht nämlich nicht zufällig, sondern ist das Ergebnis unserer Gedanken.
- nehmen wir uns Energie und leeren unseren inneren Akku immer weiter. Oder wir verschaffen uns neue Energie und Motivation
- schaffen wir Schritt für Schritt die Realität, die für uns stimmt: Wer sich darauf konzentriert, was er schon wieder falsch gemacht bzw. wo er versagt hat, wird sich nach kurzer Zeit für einen Versager halten. Wer glaubt, in seiner Situation keinerlei Wahlmöglichkeiten zu haben, bringt sich immer weiter in eine passive Opferrolle. Mit unseren wiederholten Gedanken prägen wir die neuronalen Verbindungen in unserem Gehirn. Wir machen sozusagen in unserem Gehirn aus einem Trampelpfad eine Autobahn.
Die meisten Menschen glauben, dass sie auf ihre Gedanken keinen Einfluss haben, dass sie ihnen ausgeliefert sind. Das ist aber nicht so. Ja, unser Verstand denkt – ob wir es wollen, oder nicht. Wir können uns aber entscheiden, was wir denken wollen. Es ist nämlich alles andere als egal, was wir über uns und das Leben denken… Wir sollten uns daher bei energieraubenden, selbstabwertenden Gedanken unbedingt ertappen!
Heißt das, wir sollen alles positiv sehen?
Nein. Das bekannte Positive Denken ruft dazu auf, bei allem die positive Seite zu sehen und das Negative auszublenden: Das berühmte Glas, das nicht „halbleer“, sondern „halbvoll“ ist. Uns wird geraten, regelmäßig mit Selbstbeschwörungsformeln zu arbeiten: „Alles wird gut!“. Oder es wird uns empfohlen, uns vor einen Spiegel zu stellen und uns zu versichern, dass wir Gewinner sind, wenn wir uns insgeheim für Verlierer halten (“Sie können alles erreichen, was Sie wollen!”). . Diese Selbstsuggestionen sind tatsächlich verführerisch. Aber insgeheim wissen wir doch, dass sie nicht zutreffen. Was wirklich hilft: Wir kommen nicht umhin, die eigenen hinderlichen Gedanken zu bearbeiten. Wir müssen uns mit unserer “Verlierer-Überzeugung” auseinandersetzen…
Gute Ratschläge helfen nicht weiter…
In Krisensituationen achten wir üblicherweise nur noch darauf, was nicht gut läuft und was uns fehlt. Das Gute ist aber trotzdem da. Wir sehen es nur nicht mehr. Es geht nicht darum, etwas zu verleugnen oder schönzureden. Es geht darum, unseren eingeschränkten Blickwinkel wieder auszuweiten. Wir brauchen stichhaltige Beweise, warum unsere “Versager-Theorie” nicht stimmt. Und die gibt es immer! Und das ist enorm wichtig: Wenn wir eine bedrohliche Situation bewältigen wollen, müssen wir uns unsere Fähigkeiten bewusstmachen. Dafür brauchen wir stichhaltige Beweise – die Ausnahmen, die wir schon so lange ignoriert haben. Wir müssen wieder lernen, Momente von Zufriedenheit, Zuversicht oder Glück wahrzunehmen. Nur so können wir uns wieder Kraft zu verschaffen und Wahlmöglichkeiten erkennen. Manchmal sind wir aber tatsächlich in unserer Sichtweise so verfangen, dass wir einen neutralen Menschen brauchen, der uns dabei hilft, zu erkennen, wo wir Fähigkeiten haben und handeln können. Aber auch das hilft nicht weiter, wenn die Depression ein notwendiger Verarbeitungsprozess ist. Dazu später mehr…
Praxis-Tipp:
- Finden Sie vor dem Einschlafen drei Situationen, die Sie heute – trotz Ihrer aktuellen Schwierigkeiten – für einen Moment positiv gestimmt haben. Ganz egal, ob Sie sich kurz über die Sonne gefreut haben, über Ihren Hund oder über Ihre Fürsorge Ihres Partners. Vielleicht war es auch eine Bemerkung oder ein Anruf eines Kollegen. Vielleicht haben Sie sich kurz für einen anderen Menschen gefreut, der sich Ihnen gegenüber geöffnet hat. Wichtig ist nur, dass Sie für einen Moment, das Gefühl hatten, es würde irgendwie Sinn machen, dass Sie auf der Welt wären.
Glaube nicht alles, was du denkst!”
Die US-amerikanische Lebensberaterin Katie Byron („The Work“) empfiehlt, unsere Gedanken regelmäßig kritisch daraufhin zu überprüfen, ob sie wirklich wahr sind. Dabei geht es vor allem um Verallgemeinerungen und unzutreffende Schlussfolgerungen. “Das schaffe ich nie! Ich bin einfach unfähig!” Können wir wirklich sicher sein, dass wir – ausnahmslos – unfähig sind? “Das geht niemals gut! Es wird schrecklich enden!” Können wir wirklich zu 100 Prozent davon ausgehen, dass wir scheitern werden? Und wenn ja, wie könnten wir danach neu anfangen?
Praxis-Tipps:
- Auch wenn es sich vertraut anfühlt: Ertappen Sie sich, wenn Sie in die Opfer-Rolle geschlüpft sind! Stoppen Sie Gedanken von Selbstmitleid und negativer Zukunftsprognose!
- Machen Sie sich bewusst, wo Sie bereits erfolgreich waren: Jeder Mensch war in seinem Leben in bestimmten Situationen erfolgreich. Welche Situationen waren es bei Ihnen?
- Ersetzen Sie pauschale Selbstkritik durch hilfreiche Gedanken! Niemand zwingt uns, zu denken “Ich bin unfähig”. Wir können uns entscheiden, zu denken “Ich gebe mein Bestes!”.
- Lust auf ein Experiment? Was würden Sie gerne über sich denken? Dass Sie schon viele Schwierigkeiten bewältigt haben und auch die aktuellen Herausforderungen meistern werden? Dass es in Ihrem Umfeld einige Menschen gibt, die Sie genauso schätzen, wie Sie sind? Dass schwierige Lebensphasen Chancen sind, um sich persönlich weiterzuentwickeln? Dass das Leben oft wie ein “Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel” ist, bei dem Sie kurz vor dem Sieg geworfen werden und sich neu motivieren müssen? Finden Sie eine Überzeugung, die Sie gerne über sich hätten – und leben Sie einen Tag lang nach dieser Überzeugung. Nur einen Tag! Es ist ja nur ein Experiment. Wollen Sie das einmal ausprobieren?
Wenn Sie Ihr Gedankenkarussell stoppen wollen, machen Sie eine Pause!
“Wenn du eine Zeit lang schnell geritten bist, solltest du eine Pause machen, damit deine Seele hinterherkommt” (Indianischer Spruch)
Wenn sich Menschen von ihrer Grübelei und den inneren Filmen dazu (“Kopfkino”) befreien wollen, reagieren sie oft hektisch: Sie fangen etwas an und hören entnervt wieder auf. Oder sie reißen sich zusammen, reagieren aber nach kurzer Zeit gereizt. Der bekannte Spruch “In der Ruhe liegt die Kraft” gilt auch hier. Wer den Eindruck hat, in seinen destruktiven Denkschleifen gefangen zu sein, sollte eine Pause machen und sich Zeit für sich nehmen. Eine Auszeit nehmen. Ein langer Spaziergang in der Natur, eine Wanderung zu einem Aussichtspunkt, eine Radtour – und zwar ganz alleine. Erst, wenn wir zur Ruhe gekommen sind, können wir klären, was wir beeinflussen können bzw. wo wir Wahlmöglichkeiten haben. Wir können Prioritäten setzen, Lösungen finden, wie wir unseren Alltag „ent-stressen“ und uns von unnötigen Verpflichtungen befreien. Wir können uns von energieraubenden „Freunden“ verabschieden. Und wir können unausgesprochene Konflikte endlich auf den Tisch bringen und Veränderungen in unserer Lebensführung einleiten. So erholt sich unsere Psyche nach einigen Wochen von selbst. Aber was, wenn nicht?
Gibt es einen Anlass, warum Sie traurig sind?
Trauer ist ein notwendiges Gefühl, um sich verabschieden zu können. Und um nach einer angemessenen Zeit loslassen und einen neuen Lebensabschnitt beginnen zu können. Trauer ist nicht nur Todesfällen vorbehalten. Es ist völlig normal, dass wir auch nach einer Trennung oder dem Verlust des Arbeitsplatzes trauern. Oder wenn die Kinder erwachsen geworden und ausgezogen sind. Auch der Eintritt ins Rentenalter erfordert den bewussten Abschied von einer oft jahrzehntelangen Berufstätigkeit. Wer nach einem belastenden Ereignis wechselhafte Gefühle erlebt, also weint oder wütend ist, aber manchmal auch wieder lachen kann, erlaubt sich den ganz natürlichen Verarbeitungsprozess unserer Psyche. Er wird nach einer angemessenen Zeit gestärkt aus dieser Krise hervorgehen. Die Realität sieht jedoch anders aus. Trauer ist nicht mehr zeitgemäß. Wir sollen mit einer Krise lösungsorientiert umgehen. Die Chancen darin sehen. Und möglichst schnell wieder funktionieren. Das Leben muss ja weitergehen. Damit können auch die Menschen in unserem privaten und beruflichen Umfeld aufatmen (“Meine Mutter hat den Tod meines Vaters erstaunlich gut weggesteckt”). Das hat aber Folgen. Dazu später mehr…
Wann haben Sie sich das letzte Mal wirklich “lebendig” gefühlt?
Oft geäußerte Wünsche in meiner Praxis: „Ich empfinde überhaupt keine Lebensfreude mehr. Irgendwie ist alles so anstrengend geworden“. „Ich möchte mich einmal wieder so fühlen wie damals in meiner Jugend bei unseren Partys. Ohne Verpflichtungen, das ganze Leben noch vor mir…“ Wir sind erwachsen geworden. Die spontanen “Events” in unserer Jugend finden heute nicht mehr statt. Wir haben gelernt, Lebensfreude von “Erfolg”, “Wohlstand”, „Urlaub“ und „Konsum“ abhängig zu machen. Damit schränken wir uns aber mehr ein, als uns bewusst ist. Wir leben nur noch für das Wochenende, den Urlaub, tolle Klamotten, ein neues Auto… Nicht wenige Menschen versuchen sich die Leichtigkeit von damals mit ein paar Gläsern Wein, Gin Tonic, Aperol Spritz oder Bier zu verschaffen. Das funktioniert aber nicht so wirklich… Was uns früher hat lebendig fühlen lassen, wirkt heute nicht mehr. Das Leben hat uns „ernüchtert“. Stopp!! Wir haben uns vom Leben ernüchtern lassen. Wir leben in einem „stand-by“-Modus, in dem wir unbewusst darauf warten, dass irgendjemand den Schalter umlegt, so dass wir endlich wieder „on“ sind. Wir haben nicht verstanden, dass nur wir diesen Schalter umlegen können. Nur wir selbst können etwas in unserem Leben verändern. Vor allem in unserer Einstellung.
Wir haben verlernt, uns über unseren Körper zu freuen. Dass wir laufen, joggen oder schwimmen können. Das hat Folgen… Weil wir uns über unsere Beweglichkeit nicht mehr freuen können, bewegen wir uns nicht mehr. Viele Menschen verbringen ihre Freizeit mit dem Handy oder auf dem Sofa vor dem Fernseher. Wann haben Sie sich das letzte Mal so richtig lebendig gefühlt? Sicher nicht vor dem Fernseher…
„Lebensfreude“ bedeutet, sich zu freuen, an diesem Leben teilhaben zu können. Ganz ehrlich: Wann empfinden Sie heute als Erwachsener „Lebensfreude“? Wann haben Sie sich das letzte Mal “lebendig” gefühlt? Sich spontan auf etwas eingelassen? Haben Sie dieses Gefühl „verlernt”? Dann sollten Sie es dringend wieder lernen! Fangen Sie klein an: Beginnen Sie, sich an der Natur zu freuen. Die berühmte Blume am Wegesrand. Der Geruch des Regens nach einem Gewitter… Freuen Sie sich in einem nächsten Schritt an den Menschen um Sie herum: Registrieren Sie die spontane Unterstützung eines Kollegen oder die Freundlichkeit der Kassiererin im Supermarkt!
Wer nur noch funktioniert, sollte dringend wieder fühlen lernen. Dabei geht es nicht um die „großen“ Gefühle von überschwänglicher Begeisterung und prickelnder Lebensfreude. Es geht darum, in den „kleinen“ Situationen des Alltags wieder achtsam zu werden und zu lernen, bewusst zu fühlen!
Praxis-Tipp: Lernen Sie wieder zu fühlen!
- Beginnen Sie mit Ihrem Körper: Nehmen Sie in alltäglichen Situationen bewusst wahr, was ihr Körper ganz selbstverständlich für Sie tut: Sie atmen, sie bewegen sich…
- Achten Sie darauf, in welchen Situationen Sie sich körperlich wohlfühlen. Egal, ob es auf dem Sofa ist, in der Badewanne oder bei einem guten Essen. Halten Sie diese Momente innerlich mit einem innerlichen „Klick“ als Merker fest.
- Welche Momente in Ihrem Tagesablauf haben Sie emotional berührt? In welchen Momenten haben Sie sich frei und unbeschwert gefühlt? Wann hatten Sie das Gefühl, einfach nur „Sie selbst“ zu sein? Waren Sie alleine oder mit anderen? Wenn mit anderen: Mit wem? Wer gibt Ihnen das Gefühl, sich nicht verstellen zu müssen?
- Notieren Sie diese Momente am Abend in einem „Dankbarkeits-Tagebuch“.
- Gibt es Menschen, zu denen Sie Abstand gewinnen oder von denen Sie sich trennen sollten?
Eine Übung, die ich in meiner Praxis gerne einsetze: Sammeln Sie emotionale Momente!
- Finden Sie 5-6 Situationen, in denen Sie in den letzten Wochen einen Anflug von Lebensfreude und Leichtigkeit gespürt haben. Schreiben Sie diese Situationen jeweils stichwortartig auf ein Blatt Papier.
- Legen Sie die Blätter intuitiv in eine Reihenfolge. Laufen Sie „Ihren“ Weg. Spüren Sie bei jedem Blatt das jeweilige Gefühl. Sammeln Sie diese Gefühle und machen Sie dann einen Schritt in Ihre Zukunft, wo Sie all die Gefühle dabeihaben.
- Lassen Sie jetzt Bilder auftauchen, wie Sie Situationen im beruflichen und privaten Bereich anders angehen.
Die Übung wirkt nicht immer sofort. Viele Klienten sagen mir, dass sie “wissen, wie sie sich fühlen müssten”, aber es nicht wirklich fühlen. Das ist in Ordnung. Es braucht Zeit, wieder fühlen zu lernen. Die Übung sollte daher mehrfach alleine wiederholt werden.
Leben Sie noch – oder funktionieren Sie nur?
Viel zu viele Menschen nehmen unbefriedigende Partnerschaften und Arbeitsverhältnisse hin, weil sie glauben, keine Wahlmöglichkeiten zu haben. Wer glaubt, keine Wahlmöglichkeiten zu haben, fühlt sich den Ereignissen hilflos ausgeliefert. Er glaubt, dass “alles immer so weiterlaufen wird”, dass es “kein Entrinnen gibt”. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, darauf mit Resignation zu reagieren. Der Psychologie Martin Seligman hat dafür den Begriff „Erlernte Hilflosigkeit“ geprägt: Die gelernte Überzeugung, aufgrund fehlender eigener Fähigkeiten die eigene Lebenssituation nicht beeinflussen zu können.
Seligman ging aufgrund seiner Studien davon aus, dass es zwei typische Denkmuster gibt, die dafür sorgen, dass Menschen immer passiver und irgendwann depressiv werden:
- Sie sehen das Problem in ihren vermeintlichen Defiziten. Sie haben ihre Fähigkeiten aus den Augen verloren und fühlen sich von den Herausforderungen des Lebens überwältigt („Ich bin einfach nicht so gut wie andere. Ich kann nichts tun, um mein Leben zu verändern“).
- Sie sehen das Problem als allgegenwärtig und nicht auf bestimmte Situationen begrenzt („Was ich anpacke, geht schief. Mein ganzes Leben ist ein ständiges Scheitern“).
„Das Leben ist kein Wunschkonzert!“, „Jeder hat doch Verpflichtungen, denen er gerecht werden muss“. Wir alle sind mit Parolen aufgewachsen, die uns anhalten, mit unseren (vermeintlichen) Begrenzungen umzugehen. Und vor allem die warnende Stimme in uns und die beklemmenden Gefühle zu ignorieren. Tapfer versuchen wir den Erwartungen unserer Partner zu entsprechen, unseren Kindern so viel wie möglich zu bieten, für Familienangehörige und unsere Freunde da zu sein. Zusätzlich wollen wir auch den Erwartungen unserer Führungskräfte entsprechen und “gute” Kollegen sein. Dabei bleibt unser eigenes Leben auf der Strecke, ohne dass wir es merken. Viele Menschen machen irgendwann einfach wie Marionetten, was getan werden muss. „Funktionieren“ klingt scheinbar leicht. Wenn eine Maschine funktioniert, erfordert sie keine Aufmerksamkeit. Wir sind aber keine Maschinen. Bei uns Menschen ist das Gegenteil der Fall. Wer lediglich funktioniert, braucht enorm viel Energie – weil er seine Gefühle ständig unterdrücken muss. Weil er sich immer wieder sagen muss: „Los! Lass dir nichts anmerken. Mach einfach weiter!“. Wir haben aber immer Wahlmöglichkeiten! „Aber dann müsste ich mich ja trennen oder kündigen!“ Vielleicht – vielleicht aber auch nicht. Zunächst müssen wir wieder für unsere Selbstachtung sorgen. Und dafür brauchen wir andere Denkmuster.
Sie wollen darüber mehr erfahren? Ich habe dazu zwei Bücher geschrieben: “Leben auf eigene Verantwortung” (Band 1 und 2).
Die Symptome einer depressiven Verstimmung
Burnout oder depressive Verstimmungen kommen nicht über Nacht. Sie sind die Folge von – oft jahrzehntelang – unterdrückten Bedürfnissen und unverarbeiteten Gefühlen. Bei einer depressiven Verstimmung kommt es zu Niedergeschlagenheit, Selbstzweifeln, Ängsten und Zukunftsangst, aber auch zu Antriebslosigkeit, Schlafstörungen und körperlicher Erschöpfung. Meist liegt ein Ereignis zugrunde, das nie verarbeitet wurde
- Eine Trauer, die nicht zugelassen wurde (z.B. über die Trennung der Eltern, den Tod eines Angehörigen oder die körperlichen oder psychischen Einschränkungen eines Kindes). Die Betroffenen haben einfach weitergemacht. Sie haben funktioniert, wollten stark sein und sich nichts anmerken lassen. Sie haben sich nicht erlaubt, ihre Trauer zuzulassen. Jetzt fordert ihr Körper (oder vielmehr ihre Psyche) ein, dass sie sich endlich die notwendige Zeit und Ruhe nehmen. Sich endlich überlegen, was in ihrem Leben wirklich wichtig ist. Viele Betroffene schildern, dass sie inzwischen manchmal unkontrolliert in Tränen ausbrechen. Das ist ihnen peinlich. Sie sind doch immer stark gewesen…
- Manchmal steckt hinter einer depressiven Verstimmung auch eine seit langem unterdrückte Wut oder Enttäuschung (z.B. über die Einschränkungen in der langjährigen aktuellen Partnerschaft). Nicht selten ist daraus inzwischen ein Gefühl von Hilflosigkeit geworden.
- Manchmal haben die Betroffenen haben das Gefühl, die falschen Entscheidungen getroffen zu haben, festzustecken oder gar ihr Leben “verspielt” zu haben.
Bei einer depressiven Verstimmung nimmt sich der Körper eine notwendige “Auszeit”. Er zwingt uns, die seit langem unterdrückte Enttäuschung, Wut oder Trauer endlich zu fühlen. Natürlich will sich niemand niedergeschlagen und energielos fühlen. Daher lenken wir uns gerne ab – mit zahlreichen sozialen Aktivitäten, exzessivem Sport oder stimmungsaufhellenden Substanzen und Medikamenten. Das Problem: Dann wird aus einer (notwendigen) depressiven Verstimmung irgendwann eine schwere Depression mit der entsprechenden Resignation. Der Körper reagiert mit körperlichen Erstarrung und völliger Gefühllosigkeit. Dann ist eine medikamentöse Behandlung unvermeidbar und oft sogar lebensrettend. Wie können Sie die Anzeichen frühzeitig erkennen und gegensteuern? Sie wollen mehr darüber wissen?
Studien zeigen, dass derzeit 20-30% der Menschen in den westlichen Industrieländern einmal in ihrem Leben eine Depression bekommen. Frauen doppelt so häufig wie Männer. Nach Prognosen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird dies noch weiter ansteigen. Leider wird auch bei Burnout oder einer notwendigen Trauer viel zu schnell eine Depression diagnostiziert. Umso wichtiger zu wissen, was die Symptome einer “echten” Depression sind – und vor allem, wie es dazu kommt!
Niedergeschlagenheit ist das Hauptsymptom einer Depression. Sie überfällt die betroffenen Menschen völlig unvermittelt, ohne dass es dafür einen Anlass gibt. Depressive Menschen wachen bereits mit dem Gefühl von Traurigkeit auf (das sog. „Morgentief“). Sie empfinden aber keine gesunde Trauer. Sie können nicht weinen, weil sie sich gefühllos fühlen. Und diese Gefühllosigkeit hat nichts mit ihren aktuellen Lebensumständen zu tun. Ein wichtiges Merkmal für die Diagnose einer Depression.
Depressive Symptome äußern sich auf drei Ebenen:
- Emotional: gedrückte Stimmung ohne direkten Bezug zu bestimmten Ereignissen, Reizbarkeit, innere Unruhe, Verlust von Spontaneität. Antriebsmangel (v.a. am Morgen). Im weiteren Verlauf Angstzustände oder sogar Panikattacken. Zunehmende Gefühllosigkeit („innere Leere“) und Verlust von Lebensfreude.
- Kognitiv: Konzentrationsstörungen, Interessensverlust, Gleichgültigkeit, Selbstzweifel und „Worst-Case-Szenarien“ in der Zukunft. Im weiteren Verlauf zunehmende Entschlusslosigkeit, zwanghaftes Grübeln über Ereignisse in der Vergangenheit verbunden mit Schuldgefühlen, realitätsferne Selbstkritik, Verlust von Selbstachtung bis hin zu empfundener Wertlosigkeit. Bei einer schweren Depression schließlich Sinnlosigkeit mit entsprechenden Suizidgedanken und Todessehnsucht („endlich Ruhe“).
- Körperlich: unspezifische Symptome wie Nackenverspannungen, Kopf- und Rückenschmerzen, Magen-Darm-Probleme. Im weiteren Verlauf „typische“ Symptome wie Schlafstörungen trotz Erschöpfung, und Appetit- und Libidoverlust.
Medizinisch festgestellt werden darüber hinaus häufig Auffälligkeiten im Blutbild, Defizite bei den Mikronährstoffen, in der Darmflora, Bluthochdruck – und vor allem ein Mangel an Neurotransmittern (v.a. Serotonin, Dopamin).
Achtung: Manchmal sind es auch die verschriebenen Medikamente bei manchen Erkrankungen (v.a. Schmerztabletten, Sulfonamide, blutdruckstabilisierende Medikamente sowie Medikamente bei Epilepsie, Morbus Parkinson, Multipler Sklerose, Herzinfarkt, Diabetes, Schlaganfall und Krebs), die zu depressiven Verstimmungen führen. Dies gilt es sorgfältig zu überprüfen.
Können andere Einflussfaktoren ausgeschlossen werden, wird je nach Ausprägung der Symptome eine leichte oder mittelschwere Depression diagnostiziert. Und meist entsprechende dämpfende oder stimmungsaufhellende Medikamente verschrieben. Diese sollen v.a. den Neurotransmitter-Mangel im Körper wiederherstellen. Tatsächlich stellen die Medikamente die störenden psychischen und körperlichen Symptome kurzfristig meist ab. Manchmal verschafft eine Krankschreibung dem Betroffenen auch die dringend benötigte Ruhe, die sie sich selbst nicht erlaubt hätten („Der Doktor hat gesagt…“). Es kann aber niemals die Lösung sein, sich lediglich körperlich zu erholen, um danach weiterzumachen wie bisher.
Die entscheidende Frage ist nämlich: Wie kam es zu diesem Mangelzustand in unserem Körper?
Wird eine Depression vererbt?
„Mein Vater war auch depressiv“, „Mein Großvater hat sich umgebracht“… Es erscheint zunächst entlastend, Ähnlichkeiten mit den eigenen Vorfahren zu erkennen. Fakt ist aber: Es gibt bis heute keine wissenschaftlichen Beweise für eine Vererbung von Depression, sondern höchstens für eine Veranlagung (Disposition). Studien im Bereich der Epigenetik zeigen deutlich, dass sich vorhandene Gene durch Umwelteinflüsse und psychische Belastungen, denen wir ausgesetzt sind, verändern. Das bedeutet auch, dass wir durch unsere Lebensführung beeinflussen können, ob wir vorhandene Gene, d.h. Veranlagungen, aktivieren oder nicht. Wer dazu neigt, eher vorsichtig zu sein und sich schnell entmutigen zu lassen, sollte lernen, frühzeitig gegenzusteuern. Wer von seiner Persönlichkeit her schwer loslassen kann und sich gerne in Erinnerung an Vergangenes verliert, kann lernen, sich bewusst auf die Gegenwart zu konzentrieren und sich Ziele für die Zukunft zu setzen.
Über persönlichkeitsbedingte Unterschiede hinaus zeigt sich aber häufig, dass depressive Denk- und Verhaltensmuster überhaupt nichts mit Veranlagung zu tun haben. Viel öfter geht es um den vorgelebten Umgang mit unseren Bedürfnissen und Gefühlen, der von Generation zu Generation weitergegeben wird. Wenn uns in unserer Kindheit vorgelebt wurde, dass “im Leben sowieso alles anders kommt”, dass “man im Leben nichts geschenkt bekäme” und “man sich nie zu früh freuen dürfe”, haben wir mit hoher Wahrscheinlichkeit frühzeitig unser angeborenes Selbstvertrauen, den Herausforderungen des Lebens gewachsen zu sein verloren. Genauso, wie die Zuversicht, dass “immer von irgendwo ein Lichtlein herkommt”, wenn wir denken, dass es nicht mehr weitergeht. Wir warten ja regelrecht darauf, dass sich die Prognosen unserer Eltern und Großeltern bewahrheiten. Die gute Nachricht: Selbst wenn Ihre Vorfahren bereits depressive Gedanken hatten, können Sie heute diesen Automatismus durchbrechen!
Was sind die Symptome einer schweren Depression?
- Antriebslosigkeit (z.B. Weigerung, morgens aufzustehen, Körperpflege, Hausarbeiten) verbunden mit Entscheidungsunfähigkeit bei der Bewältigung alltäglicher Anforderungen (z.B. essen, Tagesgestaltung). Oft sichtbar durch zunehmende Verwahrlosung.
- Gleichgültigkeit bezogen auf Menschen und einst geliebte Beschäftigungen. Dauerhaft empfundene Gefühllosigkeit und Leere.
- Quälende Schlafstörungen trotz völliger Erschöpfung.
- Schuldgefühle, pessimistische Zukunftsgedanken, Verzweiflung sowie empfundene Wertlosigkeit und Sinnlosigkeit des eigenen Lebens bis hin zu Suizidabsichten als Ausweg (“endlich Ruhe”).
Achtung:
Bei einer schweren Depression sind die Energiereserven der Betroffenen komplett ausgeschöpft. Sie sind nicht mehr in der Lage, die Verantwortung für ihre Gedanken und Gefühle zu übernehmen. Sie fühlen sich ihren destruktiven Gedanken und Gefühlen ausgeliefert und können diesen nichts mehr entgegensetzen. Das zeigt sich häufig in suizidalen Gedanken. Die massiven körperlichen Defizite müssen zunächst „aufgefüllt“ werden, bevor die Betroffenen wieder Selbstverantwortung übernehmen können. Bei einer schweren Depression ist eine medikamentöse Behandlung durch einen Facharzt – oft sogar im Rahmen eines stationären Aufenthalts – unerlässlich.
Eine Depression ist keine Reaktion auf ein aktuelles Ereignis!
„Warum bist du denn so niedergeschlagen? Du hast doch alles, was du brauchst?“ Menschen mit depressiven Gedanken kennen diese Reaktionen aus dem Umfeld zur Genüge. Sie helfen ihnen aber nicht weiter… Nein, es liegt nicht daran, dass ihr Leben schwieriger ist als das Leben anderer Menschen. Depressive Menschen wissen, dass es ihnen eigentlich gut gehen müsste. Sie fühlen es aber nicht. Woher kommt das?
In meiner Praxis höre ich nicht selten „Der Tod meiner Katze hat mich völlig aus der Bahn geworfen“, „Seit mich mein Chef vor versammelter Mannschaft kritisiert hat, habe ich das Gefühl, überhaupt nichts zu können“. Auch wenn aktuelle Ereignisse (z.B. eine berufliche Aufgabe, die zu Überforderung führt, eine Trennung, ein Todesfall oder der Verlust des Arbeitsplatzes) manchmal das berühmte Fass zum Überlaufen bringen: Eine andauernde depressive Verstimmung ist das Ergebnis unserer langjährigen Denkmuster, mit denen wir uns – oft ohne es zu merken – dauerhaft in Anspannung versetzt und unsere Energien aufgebraucht haben.
- Wir haben unsere Bedürfnisse und Wünsche zurückgestellt, um den Erwartungen anderer Menschen zu entsprechen. Die Anerkennung anderer Menschen war uns wichtiger, als das Leben zu leben, das wir wirklich leben wollen.
- Wir haben anderen Menschen keine Grenzen gesetzt, weil wir es uns und unserer Selbstachtung nicht wert waren.
- Wir haben uns von unseren eigenen (unrealistischen) Ansprüchen an uns selbst antreiben lassen und sind dabei über unsere Grenzen gegangen.
- Wir haben Verantwortung für Entscheidungen und Ereignisse übernommen, die wir nicht zu verantworten haben (z. B. Entscheidung für die Reduzierung von Kosten und personellen Kapazitäten unseres Arbeitgebers) anstatt im Rahmen unserer Möglichkeiten unser Bestes zu geben (aber mehr auch nicht!).
- Wir haben uns von unseren Ängsten über die allgemeine Lage (z.B. politisch, wirtschaftlich) bzw. über gesundheitliche Bedrohungen (z. B. durch Corona) lähmen lassen anstatt zuversichtlich und lösungsorientiert vorzugehen. Haben nicht unsere Großeltern nach dem zweiten Weltkrieg den Schutt aufgeräumt und an eine bessere Zukunft geglaubt?
- Wir haben die Verantwortung für andere Menschen übernommen – in der Hoffnung, ihnen unangenehme (aber vielleicht auch notwendige) Erfahrungen ersparen zu können. Wir haben uns lieber um andere gekümmert, als um uns selbst.
- Letztendlich: Wir haben „gute Miene“ gemacht und uns angepasst, weil wir keine anderen Wahlmöglichkeiten gesehen haben.
Wenn unsere Energie zur Neige geht, können wir uns nicht mehr disziplinieren: Frauen brechen unvermittelt in Tränen aus. Männer reagieren gereizt oder ziehen sich zurück. Deutliche Signale, dass wir unsere Reserven aufgebraucht haben. Unsere Psyche lässt sich nicht belügen. Unser Körper tut (glücklicherweise!) alles, um uns darauf aufmerksam zu machen, dass wir etwas verändern müssen.
Depression als Folge jahrzehntelang unterdrückter Bedürfnisse
Viele Menschen erkennen die „Botschaft“ einer depressiven Verstimmung nicht. Sie erlauben sich nicht, sich damit auseinanderzusetzen, was ihnen im Leben wirklich wichtig ist. Erst recht haben sie nicht den Mut, anderen Menschen Grenzen zu setzen. Lieber spielen sie ihre Gefühle herunter und hängen sich an äußere Beschränkungen: „Ich habe doch keine andere Wahl“. Sie reißen sich zusammen, lassen sich nichts anmerken und machen einfach weiter wie bisher. Und lenken sich mit Frustkäufen, Alkohol, Surfen im Internet oder ständigen Aktivitäten in der Freizeit ab. Oder mit Arbeit. Viele auch mit dem (vermeintlich edlen!) Impuls, anderen Menschen zu helfen: „Meine Mutter kommt ohne mich nicht klar“, „Wenn ich es nicht mache, macht es doch niemand!“. Anderen zu helfen, bringt jede Menge Anerkennung („Ohne dich ginge es gar nicht“).
Das Problem:
- Wenn wir nicht das Leben leben, was wir wirklich wollen, sondern lieber den Erwartungen anderer entsprechen, laden wir unseren inneren Akku nicht mehr auf. Selbst, wenn wir uns scheinbar “wichtig” und “gebraucht” fühlen und jede Menge Anerkennung bekommen. Die Anerkennung bewirkt aber nichts in uns. Weil wir dafür unsere eigenen Bedürfnisse und Gefühle unterdrücken müssen. Unser hochgelobtes Engagement und unser Pflichtbewusstsein gibt uns keine Energie mehr. Stattdessen erscheint es uns zunehmend sinnlos. Und trotz der Menschen um uns herum fühlen wir uns irgendwie einsam.
- Wenn wir lieber für andere sorgen als für uns selbst, nehmen wir ihnen die Verantwortung ab. Was aber viel entscheidender ist: Wir drücken uns vor der Verantwortung für unser eigenes Leben. Es ist fatal, wenn wir unser Vermeidungsverhalten irrtümlich für den Sinn unseres Lebens halten („Wenn ich nicht wäre…“).
Ein Aufruf zu Egoismus? Nein! Zu Ehrlichkeit – mit sich und anderen. Wir sind auf der Welt, um unser eigenes Leben zu leben. Und das kann niemals ein Leben für andere sein. Auch wenn es natürlich gerne ein Leben mit anderen sein darf!
Depression oder Burnout?
Burnout klingt besser als Depression. Depression wird assoziiert mit Überforderung, fehlender emotionaler Robustheit und Schwäche. Burnout eher mit hohem Arbeitseinsatz und unermüdlichem Engagement für andere (“Helfer-Syndrom”). Entgegen der gängigen Meinung beschränkt sich Burnout nicht auf das berufliche Umfeld. Es betrifft genauso Hausfrauen und Hausmänner, die alles geben, um den Erwartungen der Familienmitglieder zu entsprechen. Oder die beispielsweise Familienmitglieder seit vielen Jahren versorgen oder sogar pflegen. Letztendlich ist es egal, wie der Energiemangel benannt wird: Die Betroffenen haben sich – beruflich oder privat – für andere verausgabt und sind ständig über ihre Grenzen gegangen. Weder eine Depression noch ein Burnout kommen aus heiterem Himmel. Es gibt immer eine – oft jahrelange – Vorgeschichte.
Reflexion: In welchen Situationen in meinem Alltag…
- sage ich „Ja“, obwohl ich eigentlich „Nein“ sagen müsste? Warum? Weil ich andere nicht enttäuschen will? Oder eine „heilige Mission“ verfolge?
- konzentriere ich mich – wie ferngesteuert – auf andere? Wo helfe ich, ohne nachzudenken, was das für mich selbst bedeutet bzw. welche Nachteile für mich damit verbunden sind? Wo helfe ich, ohne nachzudenken, ob meine Hilfe dem anderen jetzt wirklich hilft (Sie erinnern sich: Die alte Frau, die man hilfsbereit über den Zebrastreifen bringt, ohne zu wissen, ob sie tatsächlich über die Straße wollte)?
- suche ich regelrecht nach Möglichkeiten, wo ich mich einbringen kann. Ohne zu prüfen, ob meine Hilfe wirklich gewünscht ist? Und ohne zu prüfen, ob meine Hilfe wirklich zielführend ist? Beispielsweise weil ich anderen damit ihre Verantwortung abnehme, ihnen ermögliche, sich zurückzulehnen und sich auf mich zu verlassen? Ihnen aber die Chance verwehre, sich ihre eigenen Fähigkeiten zu beweisen?
Praxis-Tipps:
- Entscheiden Sie sich jetzt ganz bewusst, den jahrelangen Kampf um Anerkennung aufzugeben – bei Ihrer Familie, Ihren Eltern, Ihren Freunden, Ihren Vorgesetzten… Er hat Sie ja nicht wirklich weitergebracht.
- Entscheiden Sie sich stattdessen für sich selbst! Was ist Ihre Mission im Leben? Ist es wirklich das Engagement für andere?
- Wenn ja, wie stellen Sie ab sofort sicher, dass Sie selbst nicht auf der Strecke bleiben?
Depression als Folge unterdrückter Trauer
Trauer ist in unserer heutigen Gesellschaft unerwünscht. Viele Menschen können weder ihre eigene Trauer zulassen, noch die Trauer anderer Menschen aushalten. Früher gab es das akzeptierte Trauerjahr nach einem Todesfall. Heute wollen wir die „gesunde“ Trauerphase abkürzen. Wir wollen möglichst schnell wieder funktionieren. Daher lassen wir uns nichts anmerken und machen gute Miene. Wir haben verlernt, zu trauern.
Ist jemand nach einer einschneidenden Lebensveränderung nicht wieder sofort stabil und positiv gestimmt, wird häufig eine sog. Anpassungsstörung diagnostiziert. Der Begriff „Störung“ impliziert bereits, dass etwas nicht nach Plan läuft. Oder es wird gleich eine depressive Verstimmung diagnostiziert. Den offiziellen Diagnosekriterien entsprechend kann bereits eine Depression diagnostiziert werden, wenn zwei (!) Wochen lang über den größten Teil des Tages eine niedergeschlagene Stimmung auftritt. Die Folge: Viel zu viele Menschen bekommen viel zu schnell Medikamente verschrieben, ohne dass die Ursachen geklärt sind.
Abschiede erfordern ein bewusstes Loslassen von Wunschvorstellungen und Erwartungen (“Ich bin immer davon ausgegangen, dass wir miteinander alt werden”). Die selbstverständlichen Lebenspläne funktionieren auf einmal nicht mehr. Das konfrontiert uns auf einmal mit Ängsten vor der Zukunft. Abschiede brauchen daher Zeit. Diese Zeit erlauben wir uns aber oft nicht. Beispielsweise die Trauer um den verstorbenen Vater, weil wir ja der Mutter gegenüber stark sein müssen. Die Trauer um den unerfüllten Kinderwunsch, bei dem wir nach außen rational argumentiert haben („Das hat eben nicht sein sollen. Damit habe ich mich abgefunden“). Oder die Trauer um den Verlust des langjährigen Arbeitsplatzes, die wir mit unserer Wut über die wirtschaftlichen Motive unseres Arbeitgebers überdeckt haben („Ich habe mich für das Unternehmen so engagiert. Niemals hätte ich gedacht, dass ich einmal gekündigt werde!“). Nehmen wir uns aber diese Zeit nicht, löst oft Jahre später ein scheinbar harmloser Anlass (wie z.B. der Tod der Katze) die seit langem unterdrückte Trauer aus.
„Wer nicht hören will, muss fühlen!“
Unsere Psyche vergisst nichts. Wenn wir unser Leben dauerhaft gegen unsere Bedürfnisse führen und unsere Gefühle unterdrücken, zwingt uns unsere Psyche irgendwann, uns all den Gedanken und Gefühlen zu stellen, die wir so lange ignoriert und überspielt haben: Enttäuschung, Ängste, Wut. Und vor allem Trauer. Wie bereits beschrieben: Depressive Menschen erscheinen niedergeschlagen, sie trauern aber nicht. Sie können nicht weinen, weil sie sich gefühllos fühlen. Und diese Gefühllosigkeit hat nichts mit ihren aktuellen Lebensumständen zu tun. Es hilft nicht weiter, ihre Niedergeschlagenheit von Beginn an durch Medikamente zu unterdrücken. Menschen mit leichten und mittleren depressiven Verstimmungen müssen wieder lernen zu fühlen. Der erste Schritt dabei ist es, sich ihrer Niedergeschlagenheit auszusetzen. Vielleicht lesen Sie einmal die Erfahrungsberichte auf meinen anderen Seiten: https://www.ziffprozess.de/depression-mit-herzrasen/ In jedem Fall geht es darum, zu klären, welche Veränderungen in der Lebensführung dringend notwendig sind.
Wenn wir rechtzeitig unsere destruktiven Gedankenmuster erkennen, können wir einer Depression gegensteuern – und zwar auf eigene Verantwortung! Dabei geht es auch um den selbstverantwortlichen Umgang mit unseren Ängsten https://www.ziffprozess.de/mit-angst-umgehen/ Mit der frühzeitigen Verschreibung von Medikamenten laufen wir Gefahr, dass wir die wichtigen Signale unserer Psyche ignorieren und weitermachen, wie bisher. Und damit auf eine schwere Depression zusteuern!
Achtung:
Wenn Menschen ihre innere Stimme seit Jahren überhört und damit ihre Energiereserven komplett erschöpft haben, sind sie nicht mehr in der Lage, selbstverantwortlich zu handeln. (Psycho-)therapeutische Unterstützung kann zu diesem Zeitpunkt nichts mehr bewirken. Eine schwere Depression erfordert unbedingt medikamentöse Unterstützung oder sogar einen stationären Aufenthalt. Darin liegen die Chancen unserer Medizin. Wichtig ist es aus meiner Sicht, dass nicht nur die aktuelle Situation mit den entsprechenden Symptomen “gelindert” , sondern die Ursachen gefunden und verarbeitet werden. Es kann niemals Ziel sein, dass Menschen (von exogenen Psychosen und psychotischen Störungen abgesehen) aufgrund erlernter Ängste oder destruktiver Denkmuster bezüglich ihrer Bedürfnisse zeitlebens von Medikamenten abhängig werden. Auch wenn sich Menschen wieder in der Lage fühlen, die Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen, ist “der Spuk” nicht vorbei. Es geht nicht darum, weiterzumachen wie vorher. Es geht darum, die “Botschaft” der depressiven Phase verbunden mit allen Ängsten zu erkennen und das eigene Leben entsprechend zu verändern.