Interview: Im Einklang mit den eigenen Bedürfnissen leben

„Vielen Menschen fällt es schwer, für ihre eigenen Bedürfnisse einzutreten. Vor allem die Fähigkeit, „nein“ sagen zu können, ist ein häufiges Thema in Therapie und Coaching“.

Wenn das Leben darauf basiert, die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen und sie einfach nicht mehr zur Kenntnis zu nehmen, sind meiner Erfahrung nach langfristig immer Erkrankungen die Folge. Wenn das nur einmal passiert, oder ich mich vorübergehend dafür entscheide, ist das für den Körper kein Problem. Wenn aber meine Lebenseinstellung z.B. „Ich bin dafür da, mich für meine Kinder aufzuopfern“ lautet, dann komme ich selbst zu kurz. Selbstverständlich hat man Verantwortung für seine Kinder und die soll man bitte auch wahrnehmen. Ein normales Verantwortungsbewusstsein macht niemanden krank. Aber das heißt nicht, dass ich selbst dadurch nichts mehr wert bin. Damit gebe ich auch meinen Kindern kein gutes Beispiel, wie sie ihr Leben gestalten sollen.

Um Babys und Kleinkinder muss ich mich immer kümmern, vor allem solange sie wach sind. Aber die Verantwortung für die Kinder muss in dem Maße abnehmen, wie sie älter werden. Sind die Kinder 18 Jahre alt, müssen sie für sich selbst Verantwortung tragen. Das ändert nichts an meiner Liebe zu den Kindern, die bleibt lebenslänglich. Aber es gibt eine Menge Eltern, die die Verantwortung nicht aufgeben wollen. Die Kinder sind schon erwachsen und sie behandeln sie immer noch wie Kinder. Kleine Kinder gehen mit ihren Gefühlen noch genauso normal um wie Säugetiere in der Wildnis. Sie melden sich sofort, wenn sie irgendetwas spüren. Wenn sie älter werden, drücken sie sie weniger aus, sondern fühlen ihre Gefühle einfach, solange man das nicht sanktioniert. Das ist allerdings sehr selten. Spätestens wenn sie in die Schule kommen, bekommen sie nämlich „gute“ Ratschläge: „Jetzt reiß dich mal zusammen, setz dich hin, lerne etwas!“. Ihre eigenen Bedürfnisse spielen dann keine Rolle mehr. Zu diesem Zeitpunkt bekommen sie mit, dass es andere Gesichtspunkte gibt als ihre Bedürfnisse, nach denen sie ihr Leben ausrichten müssen.

Natürlich kann ich mein Leben nicht nur nach meinen Bedürfnissen ausrichten: Ich muss arbeiten, um genügend Geld zu haben, um selbständig mein Leben zu unterhalten. Aber das darf nicht dazu führen, dass ich meine Bedürfnisse völlig ignoriere und nur noch für andere arbeite. Sonst wird mein Körper entsprechend reagieren. Er wird allerdings auch reagieren, wenn ich überhaupt nicht arbeite, wenn ich nur noch auf der faulen Haut liege. Der Tag hat 24 Stunden: Davon schlafe ich acht, arbeite acht und habe weitere acht Stunden für mich – den Haushalt bzw. was ich brauche, um leben zu können, aber auch meine Freizeit. Wenn ich in diesem beständigen Wechsel lebe und konsequent Zeit einplane, in der ich wirklich mache, was ich wirklich möchte und es mir gut geht, dann werde ich auch nicht krank.

„Was mache ich mit Leuten, die glauben, aus ihrer Situation nicht aussteigen zu können? Die beispielsweise aufgrund ihres Berufs viel arbeiten müssen oder die sich durch ihren Partner belastet fühlen?“

„Aber ich kann doch nicht…“ – das ist eine beliebte Ausrede von Klienten, um in der Opferhaltung zu bleiben. Wenn ich sage „ich kann nicht nein sagen“, dann stimmt das einfach nicht. Es müsste heißen: „Ich traue mich nicht oder es fällt mir sehr schwer, „nein“ zu sagen.“ Also arbeite ich bei diesen Menschen mit dem ziff-Prozess, damit die Angst vor dem „Nein-Sagen“ bzw. die Angst davor, was andere dann von ihnen denken könnten, verschwindet. Dann können sie sich sehr wohl anders verhalten – sogar mit einem Lächeln auf dem Gesicht und ohne in den Kampf einzusteigen. Und sie wundern sich, wie schnell akzeptiert wird, was sie sich früher nie getraut haben, weil sie Ablehnung befürchtet haben!

„Ist ziff eher dem therapeutischen Einsatz vorbehalten, oder kann es auch im Coaching von Mitarbeitern eingesetzt werden?“

Der ziff-Prozess ist eigentlich gar keine Psychotherapie. Er ist eine Rückkehr zum natürlichen Verhalten, zu der Strategie, die der Körper zur Bewältigung von Schwierigkeiten selbst entwickelt hat. Ich bringe meinen Klienten bei, ihn selbst anzuwenden – in allen Situationen, in denen es ihnen nicht gut geht. Und in der Regel kommen sie nach einiger Zeit wunderbar damit zurecht. Daher eignet er sich für Coaching genauso. Ein Coach muss aber genauso den ziff-Prozess wirklich beherrschen, damit er anderen Menschen helfen kann.