Burnout als Folge fehlender Selbstverantwortung (Interview mit Hans Rebhan)

„Aktuell klagen viele Mitarbeiter über Stress, oft verbunden mit somatischen Krankheitssymptomen. Warum sind Stresssymptome so viel häufiger geworden? Können wir mit den heutigen Anforderungen der Arbeit nicht mehr so gut umgehen wie früher?“

Es ist bekannt, dass Symptome wie Depression oder Burnout immer mehr zunehmen. Ich habe den Verdacht, dass das nicht so ist, weil die Wirtschaft immer härter wird, sondern weil die Leute in der Regel Medikamente verschrieben kriegen und z.B. eine Depression nicht mehr wirklich heilen kann. Ich habe eine ganz simple Deutung von Stress, die vielleicht auch nicht in allen Fällen stimmt: Stress mache ich mir dann, wenn ich mich nicht traue, an der richtigen Stelle „Nein“ zu sagen. Wenn ich mir zu viele Aufgaben auflade und ich Angst habe, ob ich das alles auf Dauer bewältigen kann, dann mache ich zu viel. Ich bringe den Menschen mit ZIFF bei, diese Angst anzunehmen, sie zu Ende zu spüren – und dann das zu tun, was ansteht: nämlich rechtzeitig „Nein“ zu sagen.

„Was ist wenn jemand Angst hat, den Anforderungen, die an ihn gestellt werden, tatsächlich nicht gewachsen zu sein?“

Selbstzweifel haben viele Menschen. In der Regel sind sie aber nicht gerechtfertigt. Oft übertreffen ihre eigenen Ansprüche bei weitem das, was tatsächlich von ihnen verlangt wird. Es sind eher unrealistische Ängste im Sinne von „Was passiert, wenn ich das alles nicht mehr schaffe?“. Wobei man unterscheiden muss: Ängste sind nicht nur unangenehme Gefühle. Sie sind auch dazu da, mich zu motivieren, mit etwas umzugehen, was mir im Moment noch schwer fällt. Ängste können daher nicht als Ratgeber benutzt werden, etwas nicht zu tun.

„Es gibt inzwischen den sog. Workaholismus: Menschen sind 24 Stunden erreichbar, planen keine Freizeit mehr ein, kennen keine Wochenenden mehr… Das Problem dabei ist, dass diese Form der Sucht sozial sehr akzeptiert ist. Es kommt bei anderen gut an, wenn man viel arbeitet und große Verantwortung trägt. Bis es dann zum Burnout, bzw. der Erschöpfungsdepression kommt…“

Die viele Arbeit, die manche Menschen glauben, an ihrem Arbeitsplatz leisten zu müssen – vor allem, wenn sie dafür dann nicht die Anerkennung bekommen, die sie gerne hätten -, kann tatsächlich mit der Zeit eine Depression auslösen. Das erinnert mich an die Gewohnheiten mancher Frauen, die bereit sind, sich für alles aufzuopfern: für die Kinder, den Mann, die ganze Familie. Und dann sagen sie immer: „Aber ich mache es doch gerne!“ Das machen auch die, die immer mehr arbeiten: „Ja, aber mein Job macht mir doch Spaß“, oder „Das ist einfach notwendig“. Ich frage Menschen, die mit einer Erschöpfungsdepression zu mir kommen, zu Beginn, wie viel sie arbeiten. Dann sage ich: „Wenn Sie so weitermachen, müssen Sie damit rechnen, dass Ihre Erschöpfung nie aufhören wird. Sie werden für acht Stunden täglich bezahlt. Es ist kein Problem für Ihren Körper, wenn Sie zwischendurch auch einmal mal neun, oder zehn Stunden arbeiten. Wenn Sie aber täglich 10 oder sogar 12 Stunden arbeiten, dann wird Ihr Körper auf jeden Fall irgendwann Krankheitssymptome entwickeln, um dem ein Ende zu machen.“ Wenn mir mein Gefühl bei einem Klienten sagt, dass er das, so wie er lebt, auf die Dauer nicht durchhält, liege ich meistens richtig. Ich frage dann nach, lasse mir erklären, was er alles macht, wie es ihm dabei geht und mit welcher Stimmung er nach Hause kommt. Wenn jemand z.B. überwiegend erschöpft nach Hause kommt, dann rede ich mit ihm darüber: „Angenommen, Sie kämen so nach Hause, dass Sie den Feier­abend noch genießen könnten, wie wäre das für Sie?“ Wenn er antwortet: „Das wäre natürlich klasse“, sage ich „Das lässt mich zu dem Schluss kommen, dass Sie sich nicht besonders gesund fühlen, wenn Sie so arbeiten, wie Sie jetzt arbeiten. Möchten Sie das so beibehalten? Dann höre ich oft: „Ja, aber es gibt ja keinen anderen Weg.“

„Diese „Ja aber“ – Reaktion ist sehr häufig, z.B. „ Das weiß ich ja alles, aber wenn ich weniger arbeite, riskiere ich meinen Arbeitsplatz zu verlieren“

Ich habe noch nie erlebt, dass Leute ihren Arbeitsplatz verloren haben, wenn sie gesagt haben „Ich arbeite gerne, aber nicht täglich so lange“. Wenn sie dagegen zu Ihrem Chef sagen: „Ich kann das gerne machen, aber ich komme erst nächste Woche dazu oder soll ich das, woran ich derzeit arbeite, liegenlassen? Was meinen Sie?“, reagieren Vorgesetzte in der Regel überrascht, weil sie gar nicht wussten, wieviel zu tun ist. Wenn Leute wirklich glauben, sie müssten so viel arbeiten, weil sie sonst ihren Arbeitsplatz verlieren, sage ich: „Gut. Dann wiederholen Sie bitte folgenden Satz und spüren, ob er für Sie stimmig ist: „Meine Arbeit ist so wichtig, dass ich dafür auf meine Gesundheit verzichte.“ Da sagt jeder sofort „Nein, das stimmt nicht!“. Dann frage ich: „Was stimmt dann, was wäre für Sie wirklich gut?“ Im Prinzip geht es um die Angst, wie ich angesehen werde, wenn ich weniger mache.

„Das heißt: Du machst dann mit einem provozierenden Satz deutlich, wo der Klient seiner Selbstverantwortung nicht gerecht wird bzw. wie unsinnig er sich eigentlich verhält? Löst das nicht Angst aus?“

Der VIT-Satz ist eine Technik, die wir (Anmerkung: zusammen mit Ingrid Ellner) entwickelt haben: Ich bringe mit einem Satz klar auf den Punkt, was die Menschen eigentlich mit sich tun. Ich mache Klienten deutlich, dass sie, so wie sie leben, keine andere Reaktion von ihrem Körper erwarten können und löse damit entsprechende Gefühle aus. Ja, natürlich macht das Angst. Daher bearbeite ich mit ihnen die Gefühle, die entstehen, wenn sie sich klar machen, dass sie ständig mehr von sich erwarten, als ihnen Kraft zur Verfügung steht. Und die Ängste, die auftauchen, wenn sie sich vorstellen, was passieren könnte, wenn sie jetzt etwas verändern. Angst ist so lange aktiv, wie ich dagegen ankämpfe, weil ich sie nicht zulassen möchte. Wenn ich sie zulasse, dann verwandelt sich Angst schnell in ein gutes Gefühl.