Erfahrungsbericht: Workaholismus nach einer Trennung


Ausgangssituation:

Herr F., 51 Jahre, arbeitet seit 2 Jahren als Vertriebsleiter für ein Maschinenbau-Unternehmen. Er ist für 32 Mitarbeiter verantwortlich. Seit Beginn seiner Tätigkeit im Unternehmen gilt Herr F. als „workaholic“. Er ist für Mitarbeiter und Kunden 24 Stunden ansprechbar, arbeitet auch am Wochenende. Durch sein Engagement hat er es in kurzer Zeit geschafft, den Umsatz in seiner Region zu verdoppeln. Seine Mitarbeiter „motiviert“ er mit Sprüchen wie „Stillstand ist der Tod“. Dies hat inzwischen zu massiver Unzufriedenheit, zu Überlastungsreaktionen und Krankheitsausfällen geführt. Für Herrn F. wurde daher von der Geschäftsführung ein Coaching veranlasst, dem er jedoch nur widerwillig zustimmte.

Beratungsverlauf:

Herr F. zeigt zunächst keinerlei Problembewusstsein. Er verweist auf die Umsatzzahlen und die Notwendigkeit für die Mitarbeiter, sich dem „heutigen Tempo im Vertrieb“ anzupassen. Er beschreibt abwertend, teilweise sarkastisch. Herr F. wird gebeten, seinen Tagesablauf zu schildern. Da dieser keinerlei Ruhephasen enthält, wird er gezielt nach körperlichen Signalen für Erschöpfung oder seinen Wünschen nach Freizeitaktivitäten und Erholung gefragt. Er gibt widerstrebend zu, dass er manchmal ab 22 Uhr abends „auf‘ Sofa“ wollen würde, aber dann – „um nicht ins Grübeln zu verfallen“ – doch noch an seinen PC ginge. Auf die Frage, worüber er sonst „grübeln“ würde, spricht er dann überraschend offen über seine private Situation.

Herr F. stotterte als Kind und entwickelte daher während der Schulzeit wenig Selbstbewusstsein. Er hatte trotzdem sehr früh seine erste Freundin, die er „aus Angst, sie wieder zu verlieren“, gleich nach Abschluss seiner Lehre heiratete. Mit der Heirat und zunehmenden beruflichen Erfolgen wuchs sein Selbstbewusstsein. Das Paar bekam zwei Kinder. Seine Frau, die nach Meinung Herrn F’s „immer Angst hatte, etwas zu verpassen“, hatte im Verlauf der Ehe mehrere kurze Affären, die Herr F. „ignorierte“. Nach 32 Jahren reichte die Frau überraschend die Scheidung ein, um mit einem neuen Partner und den gemeinsamen Kindern zusammenzuleben. Für Herrn F. brach eine Welt zusammen. Er zog überstürzt aus dem gemeinsamen Haus aus. Über Monate betrank er sich regelmäßig und verlor schließlich seine Arbeitsstelle. Ein guter Freund vermittelte ihm einen neuen Job im heutigen Unternehmen und ermahnte ihn nachdrücklich, mit dem neuen Job auch ein „neues Leben“ anzufangen. Herr F. kaufte sich ein Haus in Sichtweite zu seinem früheren Zuhause und stürzte sich in die Arbeit. Ab sofort verbot er es sich, an seine Ex-Frau zu denken, vermeidet bis heute jeden Kontakt. Die Kinder kommen regelmäßig zu Besuch. Auch mit ihnen wird über die Mutter nie gesprochen. In der Beratung spricht er mit unverhohlenem Hass von der „Schlampe, die ihn von Anfang an betrogen hat“ und der er „als Dank ein bequemes Leben“ ermöglicht hat. Auf Nachfrage betont er jedoch, dass er sich trotz allem nie getrennt hätte, „weil ihm die Familie über alles gegangen sei“.

Durch häufige Kundenbesuche vermeidet es Herr F., wann immer möglich, sich in seinem neuen Haus aufzuhalten. Obwohl  er noch hochmotiviert nach einem Kundengespräch ins Auto steigt, bekommt er zunehmend unangenehme Gefühle („Magenschmerzen“, „dumpfes Gefühl im Kopf“) je näher er seinem Zuhause kommt. Wenn er schließlich das leere Haus betritt, erreicht das Gefühl eine Skalierung von „7-8“. In dieser Situation hat er früher zum Alkohol gegriffen. Heute geht er an seinen Schreibtisch und arbeitet am PC bis ihm die Augen zufallen. Er trinkt heute nur noch Alkohol in Maßen, wenn er mit Kunden unterwegs ist. Er selbst sagt, dass ihm sein Freund klar gemacht hätte, dass er an der Grenze zum Alkoholismus stünde und damit seine Kinder verlieren würde. Diesen „Triumph“ will er seiner Ex-Frau nicht gönnen. Seine Kinder sind ihm wichtig.

Therapeutische Hypothesen zur Selbstverantwortung:

Das hohe Arbeitspensum (und zuvor der Alkohol) verschafft Herrn F. Ablenkung. Er kommt nicht zur Ruhe bzw. zum Nachdenken und braucht sich auch nicht aktiv mit seinem neuen Leben als Single auseinanderzusetzen.

  • Herr F. hat in seiner Ehe zahlreiche Verletzungen hingenommen („ignoriert“) ohne selbstverantwortlich für seine Bedürfnisse und Wünsche einzutreten. Die Wut auf seine Ex-Frau lenkt ihn von seiner Enttäuschung und seinem Ärger auf sich selbst ab. Herr F. ist bis heute nicht bereit, ihre Trennungsentscheidung zu akzeptieren
  • Daher kann er auch die Beziehung nicht abschließen und ihren Ausgang betrauern bzw. wird nicht innerlich frei für Neues.
  • Herr F. hat sich aus Angst vor Ablehnung und Einsamkeit frühzeitig für eine Heirat entschieden. Er hat bis heute Angst vor dem Alleinsein und sucht daher ständig berufliche Aktivitäten und Kontakte.

Anwendung des Ziff-Prozesses:

  • Belastende Situation: Herr F. wird gebeten, sich vorzustellen, wie er spät abends sein leeres Haus betritt. Als ihm suggeriert wird, dass er aus seinem Fenster den warmen Lichtschein aus dem Haus seiner Ex-Frau sehen kann, beginnt er zu zittern und skaliert das Gefühl mit „9“.
  • Visualisierung: Er spürt das Gefühl im Magen in Form von Sodbrennen, das er als Feuer visualisiert. Er kann einen rot glühenden Kern erkennen. Dieser strahlt für ihn zunächst eine „ohnmächtige Wut“ aus. Er fühlt sich gedemütigt („verarscht“), beginnt bei den Rückmeldungen wie früher zu stottern. Mit der Zeit reduziert sich das Feuer zu einer glühenden Kugel und das Gefühl geht über in Enttäuschung („7“) und schließlich in Trauer („4“). Hier verharrt er sehr lange, bis nur noch ein Stück weißglühende Kohle übrig bleibt („2“).
  • innerer Friede“: In dieses Stückchen Kohle kann er mit seinen Händen positive Energie fließen lassen, bis sie zu Asche zusammenfällt. Er fühlt sich jetzt „so ruhig wie schon Monate nicht mehr“. Seine Sprache ist wieder flüssig.
  • Überprüfung: Herr F. stellt sich vor, wie er nach Hause kommt. Er spürt, wie erschöpft er nach der langen Autofahrt ist. Als er den Lichtschein aus dem Haus seiner Ex-Frau registriert, denkt an seine Kinder und das bevorstehende Wochenende mit ihnen. Er geht in die Küche und macht sich etwas zu essen. Damit setzt er sich auf das Sofa und legt die Beine hoch. Das Gefühl der Erschöpfung bleibt für ihn spürbar und bewirkt, dass er nach dem Essen zu Bett geht.
  • Vereinbarungen: Herr F. wird gebeten, in den nächsten 2 Wochen seinen PC nach 20 Uhr sowie am Sonntag nicht mehr anzuschalten. Falls er den Wunsch nach Ablenkung verspürt, soll er sich bewusst in Ruhe hinsetzen und – wie er in eigenen Worten wiederholt – „warten, bis der Anfall vorbei ist“. Falls er sich bei inneren Dialogen mit seiner Ex-Frau „ertappt“, soll er sich hinsetzen und seine Gedanken in Briefform formulieren.

Weiterer Beratungsverlauf:

Herr F. vereinbart von sich aus weitere 3 Termine (à 2 Stunden). Beim nächsten Termin berichtet er sichtlich stolz, dass er sich mit seinem Freund im Squash-Center angemeldet hat. Der Brief an seine Ex-Frau hat sich inzwischen eher zu einer Art Tagebuch entwickelt, das er fortlaufend als Word-Datei führt („das mache ich oft im Hotel“).

Folgende Themen werden aufgrund des Auftrags als berufsbegleitendes Coaching noch bearbeitet:

  • Die Erarbeitung einer Vorstellung eines „normalen“ Arbeitspensums sowie die Signale zur Erkennung von Überforderung bei sich.
  • Der Aufbau eines motivierenden Führungsleitbilds verbunden mit realistischen Zielvorgaben sowie die Erkennung von Signalen der Überforderung bei den Mitarbeitern